Haben die Behörden in den Tiroler Corona-Hotspots im März richtig gehandelt? Dieser Frage rund um das stark kritisierte Krisenmanagement in Ischgl und Co. ging in den letzten Monaten eine unabhängige Expertenkommission nach. Der fast 300-seitige Untersuchungsbericht wurde nun am Montag, 12. Oktober 2020, der Öffentlichkeit präsentiert. Die Ergebnisse zeigen zwar kein grundsätzliches Versagen der Behörden in dieser "beispiellosen Krisensituation", dafür allerdings "folgenschwere Fehleinschätzungen" und Abstimmungsprobleme.
Aus Fehlern für die Zukunft lernen
Um die Vorgänge aufzuarbeiten, wurden von der sechsköpfigen Kommission über 50 Personen zwischen Juni und August befragt. Darunter waren neben Betroffenen auch Vertreter der Seilbahn- und Tourimuswirtschaft sowie Verantwortliche auf Bezirks-, Landes und Bundesebene. Außerdem wurden neben den Protokollen auch über 5700 Seiten an Unterlagen ausgewertet. Dabei ging es explizit nicht um strafrechtliche Ermittlungen und auch nicht um Schadenersatzansprüche von Infizierten. Stattdessen wurde das Vorgehen der Behörden detailliert dargelegt, um aus Fehlern der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen, erklärte Kommissionsvorsitzender Ronald Roher bei der Präsentation.
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Skibetrieb hätte früher beendet werden müssen
Viel zu spät erfolgte laut Kommission die Schließung des früh betroffenen Skigebiets in Ischgl. Der Skibetrieb hätte aus "epidimologischer Sicht" bereits am 9. März von den Verantwortlichen des Bezirks Landeck beendet werden müssen. In den Tagen zuvor hatte man noch richtig auf Infektionen von abgereisten Gästen aus Island reagiert und breit angelegte Testungen sowie Absonderungen durchgeführt. Dabei stand vor allem die stark besuchte Après-Ski-Bar "Kitzloch" im Vordergrund, wo die Isländer zu Gast waren und im Nachgang dann auch über ein Dutzend Servicekräfte positiv getestet wurden.
Das "Kitzloch" und die weiteren Après-Ski-Lokale im Ort wurden dann zwar geschlossen, mit der behördlichen Verordnung zur Beendigung des Skibetriebs wurde vom Bezirk aber fälschlicherweise noch bis 12. März gewartet. Die Seilbahnen liefen dann sogar noch am 13. März weiter, da der Ischgler Bürgermeister die Verordnung des Bezirks erst am 14. März angeschlagen hat. Warum überprüft aktuell die Staatsanwaltschaft Innsbruck in ihren strafrechtlichen Ermittlungen.
Kein Einfluss durch Seilbahnen und Tourismusbetriebe
Keinen Einfluss auf das späte Handeln der Behörden hatten laut Kommissionssprecher Rohrer die wirtschaftlichen Interessen von Seilbahnbetreiber und Tourismusbetrieben. "Sämtliche Entscheidungen (...) erfolgten ebenso wie die Vorgangsweise des Landeshauptmanns aus eigenem Entschluss und ohne Druckausübung von dritter Seite", so Rohrer. Stattdessen haben sich die unter Druck stehenden Verantwortungsträger auf das veraltete, aber noch gültige Epidemiegesetz von 1950 gestützt, das eine "angemessene Vorgangsweise" vorsieht.
Hinzu kommt, dass noch am 5. und 8. März vom Land Tirol eine Information an alle Tourismusbetriebe verschickt worden war, dass eine Ansteckung in Tirol "wenig wahrscheinlich" sei. Zu diesem Zeitpunkt war man fälschlicherweise davon ausgegangen, dass sich die isländischen Gäste im Flugzeug bei einem anderen Flugzeuggast, einem Urlauber im bereits stark infizierten Italien, angesteckt hätten und nicht in Ischgl. Ein "unrichtiges" Vorgehen laut Kommission. Richtig war es hingegen, dass dann alle Skigebiete in Tirol am 14./15. März flächendeckend geschlossen wurden.
Chaotische Zustände bei der Abreise
Ein weitere großer Fehler ist laut Kommission bei der Verkündung der Quarantäne geschehen. Dies war von Bundeskanzler Sebastian Kurz am 13. März überraschend für das Paznauntal und St. Anton bei einer Pressekonferenz verkündet worden, "ohne Bedachtnahme auf die notwendige substantielle Vorbereitung" in den betroffenen Gemeinden im Bezirk Landeck. Dies führte zu unkontrollierten und chaotischen Zuständen bei der Abreise der vielen Tausend Urlauber, sodass manche noch in Skischuhen zu ihren Autos rannten, die Leihski in den Eingang der Verleihstationen warfen und in den Hotels teilweise ihre Sachen zurückließen.
Hinzu kamen kilometerlange Staus, nachdem der Bezirk wenige Stunden später das Ausfüllen von Kontaktformularen zur Nachverfolgung von Infektionen anordnete und an Polizeisperren bei der Ausreise einsammelte. Laut Kommission fehlte hier nicht nur die sofortige Information an die Gäste, dass sie "gestaffelt und kontrolliert" über das Wochenende abreisen sollten, sondern auch ein Evakuierungsplan für die engen Täler. Einer der Fehler, aus denen man in Tirol für die Zukunft lernen will.
Wie sich das Geschehen in Ischgl genau abgespielt hat und was die Kommission über die Infektionen in den weiteren Après-Ski-Hotspots St. Anton und Sölden zusammengetragen hat, das kann man hier im kompletten Bericht der Expertenkommission nachlesen.
Update 13.10.: Einen Tag nach der Vorstellung des Berichts hat das Land Tirol angekündigt, dass der aktuelle Corona-Krisenstab neu aufgestellt und personell erweitert wird. Außerdem plant man ein Krisenmanagementzentrum des Landes und eine Gesundheitsdirektion für Tirol.