Nach jahrelangem Stillstand hat sich zu dieser Wintersaison einiges getan in den Sextner Dolomiten. Die lang ersehnte Skiverbindung zwischen Helm und Rotwand ist geschafft. Grund genug für uns, die neuen Pisten im Hochpustertal einmal zu testen!
„Skifahren bedeutet bei uns Genuss“, verkündet Christian Tschurtschenthaler von der Sextner Dolomiten AG, als wir zum ersten Mal die Skier anschnallen. Wir stehen an der Bergstation der Gondel, die uns von Vierschach auf den Helm gebracht hat, und sehen erst einmal: nichts. An unserem ersten Skitag meint es Frau Holle gut mit dem Hochpustertal; die weißen Flocken fallen dick vom Himmel und verwehren uns das Panorama auf die berühmten Sextner Dolomiten. Dafür haben die winterliche Stimmung und der Neuschnee auf der Piste ihren eigenen Reiz. Christian ist auf jeden Fall begeistert über den frischen Schnee und steckt auch uns schnell mit seiner Euphorie an.
Die Freude über die weiße Pracht ist kein Wunder. Viel Schnee ist in diesem Winter noch nicht gefallen; im letzten Jahr waren es um diese Zeit schon fast 12 Meter. Und das ausgerechnet in der Saison, in der der Traum endlich Wirklichkeit wird: 15 Jahre haben sie auf die Verbindung zwischen den Skibergen Helm und Rotwand gewartet. Da hat auch der fehlende Schnee beim lang ersehnten Opening Ende November der Aufbruchsstimmung nicht geschadet.
Ein Traum wird Wirklichkeit: Die Verbindung zwischen Helm und Rotwand
Schließlich schauen sie in den Sextner Dolomiten jetzt nach vorne: „Sprechen wir nicht über vergangene Kämpfe“, hatte Erwin Lanzinger, Präsident des Tourismusverbandes Hochpustertal und Hauptinitiator der Skiverbindung, uns am Abend zuvor erklärt. Und dann doch ein bisschen etwas über die Vergangenheit erzählt. Auf riesige Widerstände seien sie gestoßen, aber die Verbindung sei bitter nötig gewesen, denn selbst die Stammgäste seien weggeblieben. „Wir haben unsere Hausaufgaben nicht gemacht“, gibt Lanzinger ehrlich zu, denn: „Zwei Halbe geben noch kein Ganzes.“ Jetzt soll aber alles anders werden: „In ein paar Jahren wollen wir in der ersten Liga mitspielen.“
Die Pisten, die das Skigebiet in die oberste Liga bringen sollen, erreichen wir an jenem verschneiten Tag von der Bergstation am Helm über den Kristlerhang. Hier können wir in die 8er-Kabinenbahn „Stiergarten“ einsteigen, eine der zwei neuen Liftanlagen der Skiverbindung. Entlang der gleichnamigen Piste, die auf eine Länge von 1,4 Kilometern kommt, bringt sie uns zum namensgebenden Stiergarten auf 2.092 Metern Höhe. Die Bezeichnung ist ganz wörtlich zu nehmen. Bis vor 30 Jahren verbrachten Zuchtbullen an diesem Berg den Sommer. Für Skifahrer war der Berg bis zu dieser Saison überhaupt nicht erschlossen. Nun treffen hier die „Stiergarten“-Bahn und die zweite 8er-Kabinenbahn, „Drei Zinnen“, aufeinander, um die Skiberge Helm und Rotwand zu vereinen. Um zur Rotwand zu gelangen, begeben wir uns von den Bergstationen auf die „Drei Zinnen“-Abfahrt – immer noch bei starkem Schneefall, sonst hätten wir die Aussicht auf die ikonischen Drei Zinnen genießen können. Nach 2,4 Kilometern gelangen wir zum neuen Knotenpunkt im Skigebiet: der Signaue.
Hier beginnt das Skigebiet an der Rotwand, an dem alles seinen Anfang nahm, als 1966 der erste Skilift der Sextner Dolomiten eröffnet wurde. „Kuschelig“ nennt Christian den Berg, weswegen er vor allem bei Familien beliebt ist. Abgesehen von den sanften Hängen haben die Betreiber ihr übriges getan. An der Bergstation der „Bad Moos-Rotwandwiesen“-Gondel heißen zehn Meter hohe Schneemänner die Skifahrer willkommen. Auf dem „Rudi-Rentier-Weg“ lernen die Kleinen die zehn FIS-Regeln spielerisch kennen und können die Tiere sogar in echt bewundern. Schließlich ist das kleinste Rentierrudel der Alpen an der Rotwand zuhause. Jeden Donnerstag gibt es eine geführte Fütterung. Für sportliche Fahrer hält die Rotwand die mit einer Neigung von 71 Prozent steilste Piste Italiens bereit. Ganz so steil sei die „Holzriese“-Abfahrt aber bei dem Neuschnee nicht, wie uns Christian versichert, ehe wir uns auf die Abfahrt wagen. Als die Sicht immer schlechter wird, wird es Zeit für eine erste Einkehr. Wir fahren zurück zur Signaue und legen eine Pause im Henn Stoll ein. Die urige Hütte wurde von Mitarbeitern der Bergbahnen gebaut und musste aufgrund des regen Betriebs schon erweitert werden.
Nachdem wir uns mit heißen Getränken aufgewärmt haben, machen wir uns auf den Rückweg nach Vierschach zum Servicezentrum Punka, das auch zu den Neuerungen dieser Saison zählt. Dass hier früher ein Bunker aus den 30er Jahren stand, spiegelt sich nur noch im Namen wider. Heute bietet das moderne Gebäude Skiverleih und –service sowie ein Depot und ein Restaurant. Welche technische Leistung hinter dem Skigebiet steckt, will uns dort Rudolf Egarter, der Sicherheitsbeauftragte der Sextner Dolomiten AG, erklären. Wenn auch am heutigen Tag der Neuschnee vom Himmel und nicht aus der Kanone kommt, spielt die maschinelle Beschneiung doch eine wichtige Rolle. So haben die Bergbahnen an dieser Stelle nicht mit Investitionen gescheut. Über 272 Schneekanonen verfügt das Skigebiet. Drei Tage dauert es, bis die Hauptpisten beschneit sind, wobei fünf Quadratmeter Piste die Betreiber zwei Euro kosten. Seit Jahren achten sie darauf, die Ressourcen zu nutzen und konnten inzwischen bei gleicher Leistung den Stromverbrauch um 15 Prozent senken.
Als Egarter Anfang der 80er Jahre seinen Job als Liftboy aufnahm, sei Beschneiung noch ein Tabu gewesen, wie er erzählt. Dass Schnee nicht nur auf Piste gut ist, weiß er aber auch. Von ihm stammt die Idee für die 10 Meter großen Schneemänner. Dass er seinen Job ernst nimmt, merkt man Egarter an, ebenso wie er sich seiner Verantwortung als Sicherheitsbeauftragter bewusst ist. „Als das Jobangebot kam, hab ich mich gefragt, wie ich nachts schlafen kann, wenn ich diesen Job übernehme.“ Das gehe nur mit dem Wissen, dass er alles menschenmögliche getan habe, um Unfälle zu minimieren. Heute verfügt das Skigebiet über ein Krisenhandbuch, das in allen möglichen Situationen das Vorgehen regelt, und konnte mit verschiedenen Maßnahmen die Unfallstatistik beträchtlich senken.
Ungewöhnliche Fahrgeräte und ein neues Bergpanorama
Es hat aufgehört zu schneien und so können wir abends den frisch präparierten Neuschnee genießen, denn am Haunold ist Nachtskifahren angesagt. Zu den 93 Pistenkilometern der Sextner Dolomiten zählen nicht nur die Skischaukel zwischen Helm und Rotwand, sondern auch die Liftanlagen am Haunold, in Toblach und Prags. Der Haunold und seine acht Pistenkilometer liegen direkt in Innichen. Von unserem Hotelzimmer im Posthotel, das sich seit dieser Saison nach einer Renovierung modern wie das Skigebiet präsentiert, konnten wir schon die Piste begutachten. Vor allem Anfänger und Familien tummeln sich am Haunold. Aber auch über eine Ski-Cross-Weltcuppiste verfügt der Skiberg. Als wir zur Talstation des Sessellifts kommen, scheint die Schlange an Skifahrern fast länger als tagsüber.
Gerade heute, wo der frische Schnee nun präpariert ist, will natürlich jeder der Erste auf der Piste sein. Vor allem die Einheimischen kommen hierher, wie Alfred Prenn, der für die Bergbahnen arbeitet und uns abends begleitet, erzählt. Das macht sich neben den Fahrkünsten auf der Piste vor allem durch das Fahrgerät bemerkbar. Neben Ski und Snowboard sehen wir auf der „Haunold“-Abfahrt nämlich auch ein eher ungewöhnliches Gerät. Einige der Sportler düsen auf einem kleinen Stuhl aus Holz, der auf abgeschnittene Ski montiert ist, den Hang hinunter. Böckl nennt sich das selbst gebaute Gefährt, das im Pustertal erfunden wurde. Sogar eine Weltmeisterschaft gab es schon – immerhin mit 80 Teilnehmern aus fünf Nationen. Nach einigen Abfahrten auf der „Haunold“-Abfahrt kehren wir schließlich noch in die Riese Haunoldhütte an der Bergstation des Sessellifts ein. Standesgemäß gibt es eine typische Südtiroler Brotzeitplatte und so lassen wir mit Speck und Käse aus der Region gemütlich den ersten Skitag ausklingen.
Am nächsten Tag sind die Wolken verschwunden und die Sonne strahlt über den Berggipfeln. Diesmal nehmen wir den Zug, um auf die Piste zu gelangen. Im 30-Minuten-Takt verkehrt der Ski Pustertal Express zwischen dem Kronplatz und den Sextner Dolomiten. Auch das gehört zu den Neuheiten der Sextner Dolomiten in dieser Saison. Von Innichen gelangen wir so bequem mit der Bahn zur Talstation von Vierschach, denn der dortige Bahnhof liegt nur über der Straße. Eine Brücke, die den Bahnsteig direkt mit dem Servicezentrum Punka verbindet, ist bereits in Planung.Mit Alfred starten wir heute auf die Pisten und können bei traumhaften Bedingungen endlich das Panorama auf die Sextner Dolomiten genießen. Vom höchsten Punkt des Skigebiets auf 2.200 Metern am Helm machen wir uns wieder auf Richtung Rotwand. Dank des Wetterumschwungs bleibt uns diesmal der Ausblick auf die Drei Zinnen nicht verwehrt. Kein Wunder, dass die Piste am beliebtesten ist und im Durchschnitt zweimal gefahren wird; auch für Alfred hat sie seine alte Lieblingspiste „Signaue“ abgelöst. Schließlich ist es erst seit der Erschließung des Stiergartens möglich, von der Piste aus die Drei Zinnen zu bewundern. Auch auf die Holzriese-Piste an der Rotwand wagen wir uns ein zweites Mal. Die ist heute frisch präpariert und so können wir nun ehrlich behaupten, die steilste Piste Italiens gefahren zu sein.
Idylle im Welterbe
Nach Einkehr im Henn Stoll machen wir uns zum Kreuzbergpass auf. Er markiert die Sprach- und Kulturgrenze des Skigebiets, denn das sich anschließende Teilgebiet Val Comelico liegt bereits in Venetien und ist damit italienisch geprägt. Wir wandeln auf den Spuren der Tagestour „Giro delle Cime“. Diese „Gipfeltour“ verläuft über 30 Pistenkilometer, vier Berge und drei Täler vom Helm über die Rotwand bis ins Val Comelico. Der italienische Name ist dabei bewusst gewählt, er soll dem italienischen Gebiet der Sextner Dolomiten Rechnung tragen. Zweimal in der Woche können Urlauber die Strecke auch kostenlos in Begleitung eines Skilehrers abfahren.
Besonders idyllisch ist auf der Tour der Skiweg UNESCO, der durch das Welterbe führt. Knapp fünf Kilometer genießen wir hier die Ruhe, die nur von Alfred unterbrochen wird, wenn er uns anfeuert Gas zu geben, um für die flachen Abschnitte genügend Schwung zu bekommen. Freiwillig stehen bleiben wir, als der Knieberg in Sichtweite kommt. Er sticht aus dem Karnischen Kamm hervor, der am Helm beginnt, und wird von den Einheimischen als Mini-Matterhorn bezeichnet. Ganz bis zum Ende in Padola können wir die Tour nicht mehr fahren, sondern drehen bereits am Kreuzberpass um. Der Skibus bringt uns schnell zur Signaue zurück und wir erreichen über den Stiergarten, Sexten und den Helm schließlich wieder Vierschach.
So können wir noch einmal den Traum, der nun Wirklichkeit geworden ist, auskosten. Darauf ausruhen möchten sich die Verantwortlichen aber nicht. Sie planen weiter – an einer Verbindung über den Karnischen Kamm zum Skigebiet Sillian, das nur wenige Kilometer über der Grenze nach Österreich liegt. 20 Jahre Stillstand soll es schließlich nicht mehr geben. Das Ziel der Sextner Dolomiten ist die erste Liga.